Wie du bereits erfahren hast, besteht Holz aus Cellulose, Hemicellulosen und Lignin. Um diese drei Bestandteile jedoch auch stofflich nutzen zu können, müssen sie zuerst voneinander getrennt werden. Der gängige Weg für diese Trennung ist der Kraft-Aufschluss, der bei einer Temperatur von 160-170°C und einem Druck von sieben bis zehn bar abläuft. Ziel des Aufschlusses ist das Aufbrechen der stark vernetzten Lignin-Struktur, um die einzelnen Bestandteile getrennt voneinander zu erhalten.
Werfen wir einen genaueren Blick auf den oben dargestellten Ausschnitt der Skelettformel eines Lignin-Moleküls. Dabei erkennen wir einige „besondere“ Bausteine, die in unserem Beispiel mehrfach auftreten – diese bezeichnet man in der Chemie als „funktionelle Gruppen“. Unter diesem Begriff fasst man Atome oder Atomgruppen eines Moleküls zusammen, die die Eigenschaften des Moleküls beeinflussen. Damit beeinflussen funktionelle Gruppen auf der Stoffebene auch die Eigenschaften der resultierenden Stoffe. Dazu zählen unter anderem die aromatischen Ringe, die in der Abbildung pink nachgezeichnet wurden. Diese Ringe bestehen aus Kohlenstoffatomen, die alle eine sp2-Hybridisierung aufweisen, und damit ein System aus delokalisierten (sich im Ring frei beweglichen) Elektronen ergeben. Zudem sind in der Abbildung Ether-, Hydroxy-, Carbonyl– und Carboxy-Gruppen zu erkennen. Diese vier Gruppen zählen zu den sauerstoffhaltigen funktionellen Gruppen, da sie mindestens ein Sauerstoffatom pro Gruppe enthalten. Als Strukturelemente kann man sogenannte Phenylpropan-Einheiten erkennen:
Die Phenylpropan-Einheiten (siehe Abbildung) sind durch Etherbindungen verknüpft. Um diese zu lösen, wird beim Kraft-Aufschluss eine Natriumsulfid-Lösung genutzt. Das bedeutet, dass das Salz Natriumsulfid (Na2S) in Wasser gelöst wird und die enthaltenen Natrium- und Sulfid-Ionen frei in der Lösung vorliegen. Diese Ionen reagieren mit Wassermolekülen und bilden Hydroxid-, Natrium- und Hydrogensulfid-Ionen, die ebenfalls frei in der Lösung vorliegen.
Na2S | + | H2O | ➝ | NaOH | + | NaHS |
2 Na+ + S2- | + | H2O | ➝ | Na+ + OH– | + | Na+ + HS– |
Es liegen in der wässrigen Lösung also Natrium-Ionen (Na+), Hydroxid-Ionen (OH–), Hydrogensulfid-Ionen (SH–) und Wassermoleküle (H2O) vor.
Beim Kraft-Aufschluss binden negativ geladene Hydrogensulfid-Ionen an die alpha-Kohlenstoffatome der Lignin-Moleküle. Da die Hydrogensulfid-Ionen sehr groß sind und freie Elektronenpaare zur Verfügung haben, binden sie anschließend unter Bildung eins dreigliedrigen Rings auch noch zusätzlich an das beta-Kohlenstoffatom. Dort wird nun die Etherbindung gelöst und Phenolat-Ionen werden frei. Zuletzt bildet sich aufgrund der Abgabe der zuvor gebundenen Sulfid-Ionen zwischen den beiden Kohlenstoffatomen (alpha und beta) noch eine Doppelbindung aus und ein Schwefelatom wird abgegeben.
Diese chemischen Reaktionen führen dazu, dass aus sehr großen, sperrigen und in Wasser unlöslichen Lignin-Molekülen kleinere Bruchstücke gebildet werden. Diese sind besser löslich und können gemeinsam mit den bereits gelösten Hemicellulose-Molekülen mechanisch von der Cellulose getrennt werden. Am Ende bleiben dann die Cellulose-Moleküle und eine sogenannte „Ablauge“ übrig. Die Ablauge beinhaltet alle Bestandteile von Holz außer Cellulose. Die Ablauge wird bisher oft eingedickt und verbrannt – allerdings kann man sie auch stofflich nutzen. Mehr Informationen dazu findest du beim ScienceSpot „Bioraffinerie von Holz“.
Gestaltung der Station: Alexandra Tepla, MEd BSc und Mag.a Martina Zodl
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